Unsere Podiumsdiskussion ist das Highlight des SPITZKE-Messeprogramms auf der InnoTrans 2024. Unter dem Thema: „Wir denken weiter: Wo steht die Bahnindustrie in 2035 und wie bauen wir dann?“ werfen Thomas Zeidler, Geschäftsführer der GI-CONSULT GmbH, Uwe Neumann, Leiter Beschaffung Infrastruktur bei der Deutsche Bahn AG, Dr. Bernhard Lichtberger, Geschäftsführender Gesellschafter/Chief Technology Officer bei der System7 Railsupport GmbH, Markus Hochmuth, Chief Executive Officer bei der OBERMEYER Digital Solutions GmbH sowie Mark Fisher, Chief Technology Officer von SPITZKE, am Mittwoch (25. September · 14.00 Uhr · SPITZKE-Stand · Halle 5.2 · Stand 330) ein Blick in die Zukunft der Bahninfrastrukturbranche.
Wir haben unseren Podiumsdiskussions-Teilnehmern vorab einige Fragen gestellt.
Hier lesen Sie unser Kurzinterview mit Thomas Zeidler.
Wie würden Sie die aktuelle Situation im System Bahn, insbesondere mit Blick auf die Bautätigkeiten, beschreiben?
Da wir als GI-CONSULT GmbH selbst keine Bauleistungen erbringen, muss ich mich bei der Beantwortung dieser Frage auf Eindrücke stützen, die entstehen, wenn ich die Fachpresse verfolge, Gespräche in Fachverbänden führe oder im Austausch mit Verantwortlichen der DB InfraGO, von Baufirmen und Planungsbüros bin. Ich bin also in dieser Frage kein Insider, habe aber den Eindruck, dass während im Bereich der Planung von Eisenbahninfrastrukturprojekten insbesondere seit Einführung der BIM-Methodik schon seit vielen Jahren das Auftragsvolumen kaum abzuarbeiten ist, dieser „Boom“ im Bereich der baulichen Realisierung noch nicht angekommen zu sein scheint. Die Bautätigkeit fokussierte sich bis auf einige Ausnahmen nach meiner Beobachtung auf einige wenige Großprojekte, deren Inbetriebnahme schon seit vielen Jahren immer wieder verschoben wird und auf kleinteilige Instandhaltungsmaßnahmen. Insgesamt stimmt meiner Meinung nach seit vielen Jahren das Verhältnis zwischen Planungsaufwand und Bautätigkeit nicht. Vielleicht ändert sich das aktuell durch den Start der Hochleistungskorridore, wobei Bauen ohne ein Mindestmaß an Planungsvorlauf auch hohe Risiken bedeutet. Insgesamt fehlen die gesunde Mischung und die Planungssicherheit für die Beteiligten aus der Industrie und das schon seit ich 1993 in die Branche kam.
Auf der InnoTrans 2024 diskutieren Sie mit uns zu dem Thema „Wir denken weiter: Wo steht die Bahnindustrie in 2035 und wie bauen wir dann?“ Was würden Sie heute auf die Frage antworten?
Ich befürchte, dass sich bis zum Jahr 2035 keine wesentlichen grundsätzlichen Verbesserungen in der Bahnindustrie ergeben werden. Solange die Politik die strukturelle Benachteiligung der Bahn gegenüber der Straße und dem Flugverkehr nicht beseitigt und die Deutsche Bahn immer wieder zum Spielball wird, wenn es um die Finanzierung geht, haben die Baufirmen in Deutschland keine ausreichende Investitionssicherheit, um in dem Umfang in Personal und Maschinen zu investieren, die notwendig wären. Bei der Bahn müssen im Wesentlichen die Nutzer für die Kosten der Infrastruktur aufkommen, bei der Straße zahlen alle unabhängig vom Nutzungsverhalten über die Steuern und der Staat finanziert über das Dienstwagenprivileg die Fahrzeuge noch mit. Im Flugverkehr gibt es ähnliche Privilegien. Verändern wird sich vermutlich, dass durch die Bündelung von Baumaßnahmen, wie das aktuell bei den Hochleistungskorridoren passiert, nur noch große Generalunternehmer eine Chance haben, Angebote für so komplexe Baumaßnahmen abzugeben und das notwendige Geld für immer größere Maschinen aufzubringen. Nicht nur die Baumaschinen selbst, sondern auch alle unterstützenden Prozesse wie beispielsweise Materialbeschaffung und Logistik werden digitaler werden, was allerdings für die Bereitstellung der Rechenleistung und Speichervolumen ebenfalls bedeutet, dass der Investitionsbedarf riesig ist. Kleine Bauunternehmen werden nur noch eine Daseinsberechtigung haben, wenn sie sich auf Spezialgewerke fokussieren. Die großen Bauunternehmen werden wachsen, da nur sie in der Lage sind, die notwendigen Investitionen zu stemmen und die ganze Breite der Bautechnologien vorzuhalten.
Welche Milestones müssten wir erreichen, damit das Bild einer starken Schiene mit einer stärkeren und noch leistungsfähigeren Bahninfrastrukturbranche 2035 greifbar wird?
Neben den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die im Wesentlichen von der Politik hergestellt und von der Bevölkerung getragen werden müssen, brauchen wir in erster Linie eine moderne und funktionierende digitale Leit- und Sicherungstechnik und die Beseitigung innovationshemmender Regularien. In Deutschland müssen nach wie vor aufwändige Zulassungsverfahren mit hohem Zeit- und Kostenaufwand durchlaufen werden für Technologien, die in unseren europäischen Nachbarländern seit Jahren eingesetzt werden. Im Ergebnis kommen unnötigerweise zu oft konventionelle Verfahren zum Einsatz, die viel Zeit in Anspruch nehmen, den Betrieb stören und oft für die Personen, die die Arbeiten konventionell durchführen, eine Gefährdung bedeuten. Auch in der Bautechnik lassen sich die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte leider nicht von heute auf morgen beseitigen, aber es gab in der Vergangenheit viele gute Ideen, die aufgegriffen und zügig umgesetzt werden sollten: Exemplarisch möchte ich einige Punkte nennen, die angegangen werden müssen: Die Entmischung von Personen- und Güterverkehr, ein eigenes Netz für den schnellen Fernverkehr wie es die Franzosen haben, die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Eisenbahnstrecken und es müssen natürlich die vielen maroden Brücken erneuert werden. Das sind alles keine Maßnahmen, die sich in 10 Jahren umsetzen lassen, das ist eine Jahrhundertaufgabe, zu der man sich bekennen muss. Es fällt mir also schwer, Milestones für die nächsten 10 Jahre zu benennen.
Welchen Beitrag können Politik und Industrie leisten?
Die Politik muss endlich handeln und nicht nur reden. Die Trennung von Netz und Betrieb ist seit vielen Jahren überfällig. Nur wenn die Bereitstellung von Eisenbahninfrastruktur als staatliche Grundversorgung begriffen wird, werden wir eine Chance haben, die ökologischen Schäden des motorisierten Individualverkehrs zu reduzieren und unsere Innenstädte wieder lebenswerter zu machen. Die Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass man sich auf der Schiene schneller, pünktlicher, zuverlässiger, sicherer und nicht zuletzt preisgünstiger fortbewegt als auf der Straße. Funktionieren kann das am Ende aber auch nur, wenn ausreichend Fachkräfte verfügbar sind, die Gleise und Weichen bauen und instand halten, die Schienenfahrzeuge führen und die Kundschaft dienstleistungsorientiert betreuen. Da fehlt mir in der Bildungspolitik die Bereitschaft, bahnaffine Ausbildungsstellen und Hochschulplätze zu fördern und anzubieten. Die Industrie wird wie immer ihren Beitrag leisten, wenn man sie lässt und nicht mit überbordendem Bürokratismus die guten Ideen und Initiativen, die in der Industrie immer wieder neu entstehen, abwürgt.